Sonntagabend ging eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) über einige Zeitungswebsites, zum Beispiel die Stuttgarter Nachrichten mit der Überschrift »Katzenwiegen: Je fetter die Katze, desto kälter der Winter« oder Leipziger Volkszeitung mit »40 Prozent Gewichtsplus – Katzenwiegen: Kater Nero verheißt kalten Winter«.

Beim Katzenwiegen in Voigtsdorf, ein Ortsteil mit etwa 600 Einwohnern von Dorfchemnitz im Landkreis Mittelsachsen im Erzgebirge, geht es darum, eine Katze im Sommer und dann wieder im Spätherbst, am ersten Advent, zu wiegen. Je mehr sie zugenommen habe, desto kälter soll der Winter werden. Das findet durch eine Kommission mit einer historischen Waage auf dem Weihnachtsmarkt statt, unter den Augen von vielen Schaulustigen. Vorbild scheint der nordamerikanische Murmeltiertag (Groundhog Day) zu sein. Eine schöne Idee. Video von 2014, Video von 2015.

Seltsam fand ich jedoch, daß in der dpa-Meldung und den teilweise redaktionell bearbeiteten Zeitungsartikeln davon gesprochen wird, das »traditionelle Katzenwiegen« sei »ein alter Brauch aus dem Erzgebirge«. Die Redakteure hätte schon stutzig machen können, daß der Organisator das Katzenwiegen 2016 erst zum dritten Mal veranstaltete, wie sie selbst niederschrieben.

Befragt man eine Suchmaschine nach »Katzenwiegen« oder »Katzenwiegen Voigtsdorf« oder »Katzenwiegen Erzgebirge«, erhält man nur sehr wenige Suchergebnisse. Das ist ein Indiz, daß das doch ein eher neuer, moderner Brauch ist – man findet im wesentlichen die aktuelle dpa-Meldung und ein paar Zeitungsartikel von Ende 2014. So eine alte Tradition hätte sich im katzenverrückten Internet doch auch schon einmal an anderer Stelle beschrieben finden lassen …

Klar wird es dann, wenn man die Artikel aus dem Jahr 2014 liest. Etwa die Freie Presse vom 2014-11-28 unter »Konkurrenz für Murmeltier Phil: Erzgebirger sind auf die Katze gekommen«:

»Man erzählt sich, daß diese Tradition im 17. Jahrhundert ihren Anfang nahm und besonders im vergangenen Jahrhundert immer mehr in Vergessenheit geriet«, erklärt er augenzwinkernd.

Oder in der Sächsischen Zeitung vom 2014-11-28 unter »Katze fett = Winter kalt«:

»Ob alle Voigtsdorfer vom alten Brauch des Katzenwiegens wissen, wage ich zu bezweifeln«, räumt Lommatzsch ein. Wichtig sei doch nur, daß es eine gute Geschichte ist mit einem Körnchen Wahrheit. »Und das Körnchen Wahrheit ist, dass sich Katzen definitiv vorm Winter vollfressen.«

Also, das ist eine schöne Idee und Aktion (siehe auch die Videos von 2014, 2015) – mit eigener, wenn auch etwas spärlicher Website – für Voigtsdorf. Aber daß die Deutsche Presse-Agentur (und die deren Meldungen manchmal leicht redaktionell bearbeitenden Zeitungen) die »alte Tradition« und den »alten Brauch« des Katzenwiegens in der aktuellen, bundesweit verbreiteten Meldung nicht besser aufklären, ist schon etwas zweifelhaft.

(Nachtrag 17:08 Uhr: Zumal die dpa gerade erst auf eine PR-Aktion des österreichischen Seefeld mit angeblich bis zum schleswig-holsteinischen Seefeld verfahrenem Pistenraupentransport reingefallen ist.)

PS: Kater Nero brachte beim Wiegen am ersten Advent jetzt 6,47 Kilogramm auf die Waage und damit 40 Prozent mehr als im Sommer. Laut Katzenwiegen-Organisator soll das einen kalten, harten Winter bedeuten.