Montagabend war (Noch-)Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) auf Wahlkampftour in Paderborn und forderte laut Neue Westfälische wie üblich immer mehr Überwachung:

De Maizière forderte mehr Befugnisse für die Polizei: Kfz-Kennzeichen-Lesegeräte, die Fahndung nach Personen mit Gesichtsscannern und eine effektive Zusammenarbeit unterschiedlicher Behörden mit der Weiterleitung von Daten.

Den unstillbaren Datenhunger des »Verunsicherungsministers« kennt man ja schon. Völligen Unsinn redet de Maizière dann aber als Rechtfertigung, die das Westfalen-Blatt zitiert:

Vehement verteidigte de Maizière die Einführung digitaler Lesegeräte für Autokennzeichen sowie die Gesichtserkennung gegen Bedenken von Datenschutzaktivisten. »Ich will nicht Ihr Gesicht speichern, das will Apple. Aber was macht Apple mit diesen Gesichtern? Ich will nur die Fahndung verbessern«, sagte der CDU-Innenpolitiker im Hinblick auf die neuen Apple-Geräte.

Erstens: de Maizière läßt natürlich die Gesichter speichern.

Im Mai 2017 hat der Bundestag mit den Stimmen der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD nämlich ein Gesetz beschlossen, mit dem Polizei, Geheimdienste, Steuerfahnder, Zollfahnder und Ordnungsbehörden jederzeit die biometrischen Fotos aus Personalausweis und Reisepaß von Meldeämtern online abrufen dürfen. Und dafür müssen die Fotos ja gespeichert worden sein – was sie natürlich auch vorher schon waren, denn dieses Gesetz war wieder einmal eine weitere Verschärfung der lange bestehenden umfangreichen Datensammlungen und Datenaustauschmöglichkeiten.

Zweitens: Der Minister spielt auf Apples neues Face ID auf dem iPhone X an, welches per Gesichtserkennung das Smartphone entsperrt. Ähnlich der Entsperrung mittels Fingerabdruck mit Touch ID seit dem 2013er iPhone 5s.

Aber Apple speichert eben nicht das Gesicht seiner Nutzer, sondern erstens nur biometrische Merkmale, die das Gesicht beschreiben, nicht eine Abbildung des Gesichts (im Gegensatz zu den Meldeämtern, der Polizei, der Geheimdienste, usw.), und zweitens werden diese Merkmale nur lokal auf dem einzelnen Gerät gespeichert, in der sogenannten »Secure Enclave«. Diese Daten werden nicht an Apple oder sonst irgendwie übertragen; sie können diesen speziell gestalteten Chip gar nicht verlassen.

In einem Interview mit dem Westfalen-Blatt angesprochen auf mögliche Koalitionen mit den überwachungskritischen Parteien FDP und Bündnis 90/Die Grünen, offenbart de Maizière sein völlig falsches Verständnis von Datenschutz:

Aber ich verwahre mich gegen die Unterstellung, daß die FDP für Rechtsstaat und Datenschutz ist und wir dagegen. Das ist mitnichten der Fall: Ich bin der Verfassungs- und der Datenschutzminister. Es gibt aber bei vielen ein überkommenes Verständnis von Datenschutz, das den modernen Anforderungen der Digitalisierung nicht mehr entspricht. Hier müssen wir in der nächsten Legislatur ran.

Es verwundert nicht, daß der CDUler de Maizière weder den in Sachen Datenschutz vernünftigeren anderen Parteien noch ausgewiesene Experten der Zivilgesellschaft wie zum Beispiel Chaos Computer Club, Netzpolitik.org, Digitale Gesellschaft, Digitalcourage oder vielen weiteren folgt.

Aber daß er quasi der Allgemeinheit ein »überkommenes Verständnis von Datenschutz« vorwirft, ist eine Frechheit. De Maizière ist – wie eigentlich alle Innenminister – natürlich kein »Datenschutzminister« (und über den »Verfassungsminister« kann man sich auch streiten, wenn man schaut, wie viele »Sicherheits«-Gesetze das Bundesverfassungsgericht beanstandet); seine Gedanken und Handlungen zeigen, daß seine »Anforderungen der Digitalisierung« das massenhafte anlaßlose Sammeln, Vorratsspeichern, Analysieren und Austauschen von immer mehr Daten über alle Menschen sind: die dauerhafte Erfassung und Überwachung eines jeden kompletten Lebens. Er ist ein Datensammlungs- und Datenauswertungsminister, aber bestimmt kein Datenschutzminister.

Würde sich de Maizière wirklich einmal eine Weile mit Datenschutz beschäftigen und nicht nur mit »sicherheits«-esoterischer Überwachung, so hätte er andere Ansichten. Das beste Beispiel dafür ist die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Seit 2014 ist das Andrea Voßhoff, wie de Maizière eine CDU-Politikerin, die zuvor auch eher datenschutzkritisch eingestellt war und als Abgeordnete zum Beispiel für die Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung stimmte. Nach anfänglicher Stille nach ihrer Ernennung zur Bundesdatenschutzbeauftragten nimmt sie aber immer häufiger und energischer Positionen gegen Überwachung und für Datenschutz ein.