Der Bundeskanzler leitet die Bundesregierung; in Artikel 65 des Grundgesetzes heißt es:

Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.

Der Bundeskanzler muß nicht von einer absoluten Mehrheit (auch Kanzlermehrheit genannt) oder einer Koalition mehrerer Fraktionen/Parteien gewählt werden, eine relative Mehrheit im dritten Wahlgang ist völlig ausreichend – sofern der Bundespräsident das Ergebnis akzeptiert und nicht die Auflösung des Bundestages und damit Neuwahlen für besser hält. Artikel 63 des Grundgesetzes erklärt das Vorgehen:

  1. Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage ohne Aussprache gewählt.

  2. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen.

  3. Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen vierzehn Tagen nach dem Wahlgange mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen.

  4. Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich, so muß der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl ernennen. Erreicht der Gewählte diese Mehrheit nicht, so hat der Bundespräsident binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.

Stellt zum Beispiel zum dritten Wahlgang jede im Bundestag vertretene Partei einen eigenen Kanzlerkandidaten auf und geht man davon aus, daß alle Abgeordneten ihren jeweiligen Kandidaten wählen, so würde der Kandidat der größten Partei zum Bundeskanzler gewählt.

Natürlich spricht nichts dagegen, daß Abgeordnete einer Partei einen Kandidaten einer anderen Partei wählen, auch wenn es keine offizielle Koalition gibt. So könnte dann auch ein Kanzlerkandidat zweier, dreier oder vierer kleinerer Parteien mehr Stimmen bekommen als der Kandidat der größten Partei.

Der Bundespräsident muß den Gewählten zum Bundeskanzler ernennen oder den Bundestag auflösen und damit Neuwahlen veranlassen.

Das Grundgesetz kennt übrigens nicht die Wörter »Koalition«, »staatspolitische Verantwortung« oder »Fraktionszwang«. (Und auch nicht das Konzept »Neuwahlen, bis einem das Ergebnis angenehm ist«.) Es legt in Artikel 38 Absatz 1 fest (Hervorhebung von mir):

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.